In den dreissiger Jahren

Ein Traum

Ich ging heimlich für immer aus dem Internat fort. Draußen war es Nacht. Die Dunkelheit näherte sich mir zwischen den still fallenden Schneeflocken bis auf Armeslänge. Der ganze Boden war schon weiß, aber mir war nicht kalt.

Ich ging die Straßen entlang. Ein stehendes Auto öffnete die Tür und bot sich mir an, aber ich konnte nicht mitfahren. Ein Polizeiauto fuhr an mir vorbei. Es war gefärbt wie die Polizeiautos heute noch gefärbt sind. Trotz Schnee mußten sie mich erkannt haben, aber sie holten mich nicht. Ich mußte umkehren.

Ich kam zu der großen Brücke über die Gleise, wo jetzt unten ein Lager war. Ich konnte nur die Brücke sehen, denn alles andere lag im Dunkeln. Als ich auf der Brücke war, hörte ich Menschen unten im Gleichschritt marschieren. Jeden Takt begleitete ein Aufseher mit einem Ruf. Unwillkürlich begann ich mitzumarschieren. Ich versuchte durch einen Hüpfer aus dem Takt zu kommen, aber die Schritte zogen mich fest hinein und mein dumpfer Tritt im Schnee verhallte gegen den Marsch der Menschen auf gefegtem Pflaster.

Großburgwedel, 23.06.1994 (gegen Morgen)


© 1997 Jan Torben Weinkopf