Geographen

Ich kam gerade von einer langen Reise vom großen Ozean zurück und weilte im Klub, als auch Jonas dorthin kam. Er war auch erst ein paar Wochen aus der Arktis zurück.

Ich erzählte ihm, wie sehr es mich schon jetzt drängte, möglichst bald wieder loszufahren. Er erwiderte mit einem Lächeln, daß er dagegen sehr froh sei, zunächst einmal wieder zuhause zu sein. Aber er zweifele nicht daran, daß er erneut aufbrechen würde, wenn es ihm dringlich erschiene. Ich fragte ihn, warum er immer wieder in diese eisigen Gegenden marschiere, wo er doch seine Entdeckerlust auch auf einer Reise in den wärmeren Gefilden gewinnbringend ausleben könnte. Ich malte ihm die Fahrten über die endlosen Fluten aus, auf der Suche nach neuen Eilanden, unbekannten und doch schon geheimnisvollen Gegenden. Er sagte, diese Vorstellung läge ihm gar nicht so fern. Jedoch sei ihm Bange bei so viel grundlosem Wasser, denn seine Schwimmkünste seien bisher gänzlich unerprobt geblieben. Und da selbst erfahrene Seefahrer bei einem Schiffbruch oftmals das rettende Ufer verfehlen, scheue er sich davor, "ins kalte Wasser zu springen", wie er sich ausdrückte.

So habe er also einen Wink in die andere Richtung bekommen und schon vor einiger Zeit den Marsch über das Eis zum Pol in Angriff genommen. Obschon er ihn kaum zu erreichen glaube, so versuche er doch jetzt wenigstens die Meilensteine seiner Vorgänger zu erreichen und - bei günstiger Gelegenheit - vielleicht auch zu schlagen.

Wir nahmen einen guten Schluck und dann fuhr er fort, daß aber doch nur in den kalten Gefilden, wenn nicht sogar allein auf der großen Eisfläche, der Schnee mitunter so perlend fein uns seicht falle, daß man vor Bewunderung einfach still an der Stelle stehe und den Schnee und dazu das Licht ihr Werk tun lasse. Der Regen über den Ozeanen sei im Vergleich dazu geradezu plump zu nennen.

Ich gab freimütig zu, daß mich schon so manche Insel mit einem Nebelschleier empfangen hatte, die sich erst später als ausnehmend schön herausstellte. Jedoch gab ich zu bedenken, daß die gewalttätigen Stürme über Eis und Meer in gleicher Weise wüten und man sich nicht einmal hier im Klub immer davor in Sicherheit wissen könne.

Ich stopfte meine Pfeife neu. Er bestätigte dann, daß es letztlich wohl für den Menschen keinen Unterschied mache, ob er im Meer versinke oder im Eis festfriere. Vielleicht würde er, mit meiner Erlaubnis, dann irgendwann auch jene andere Art des Abganges in Augenschein nehmen, sagte er. Unser Wunschtraum sei endlich vielleicht nur, die Welt nicht unspektakulär in einem Sessel im Klub zu verlassen, mit der Times in der Hand.

Trotzdem wäre es wohl furchtbar, wenn wir nicht hin und wieder zurückkehren könnten, um einen Blick in den Sportteil zu werfen.

Hannover, 21.04.1997


© 1997 Jan Torben Weinkopf